Mein Kind folgt einfach nicht!
Was tun, wenn der Wurm drin ist?
Kennst du das? Du bittest dein Kind, die Schuhe anzuziehen, und es reagiert einfach nicht. Oder du sagst ihm zum hundertsten Mal, dass es den Tisch abräumen soll, und es scheint dich gar nicht zu hören. Du fühlst dich ignoriert, hilflos, vielleicht sogar wütend. Wir alle kennen diese Momente, in denen wir uns fragen: „Warum folgt mein Kind einfach nicht?“
Atme erstmal tief durch! Das kennen nahezu alle Eltern. Du bist also nicht allein, und es ist völlig normal, dass Kinder manchmal nicht auf Anweisungen reagieren. Bevor wir ins Detail gehen, möchten wir dir sagen: Du machst die Sache doch schon ganz gut!
Lass uns gemeinsam herausfinden, was hinter diesem Verhalten unsere Kinder stecken kann und wie wir damit umgehen können.
Was steckt hinter dem „Nicht-Folgen“?
Wenn Kinder nicht folgen, hat das normalerweise ganz verschiedene Gründe. Es ist wichtig zu verstehen, dass hinter dem vermeintlichen Ungehorsam für gewöhnlich keine böse Absicht steckt. Oftmals sind es entwicklungsbedingte Faktoren, die das Verhalten beeinflussen:
- Entwicklungsphase: Dein Kind befindet sich in einer Phase der Autonomieentwicklung. Es möchte selbst bestimmen und seine Grenzen austesten. Gerade im sog. Trotzalter (zwischen 2 und 4 Jahren, aber auch in der Pubertät) ist dieser Drang besonders stark ausgeprägt. Das „Nein“ wird zum Lieblingswort und dient dazu, die eigene Unabhängigkeit zu demonstrieren.
- Überforderung: Vielleicht ist dein Kind gerade mit seinen Gefühlen überfordert, müde, hungrig oder schlichtweg mit Reizen überflutet. Stell dir vor, du hast einen anstrengenden Tag hinter dir und jemand bittet dich noch schnell dies und das zu erledigen. Da fällt es auch uns Erwachsenen schwer, zu funktionieren.
- Mangelnde Aufmerksamkeit: Manchmal folgt ein Kind nicht, weil es unsere Anweisung gar nicht richtig wahrgenommen hat. Kinder sind – glücklicherweise –Meister darin, sich in ihr Spiel zu vertiefen und die Welt um sich herum nahezu komplett auszublenden.
- Unklare Kommunikation: Sprechen wir mit unserem Kind auf Augenhöhe? Verwenden wir klare und einfache Sätze? Sind unsere Anweisungen konkret und verständlich? Oftmals sind es Missverständnisse in der Kommunikation, die zu Problemen führen.
- Unerfüllte Bedürfnisse: Hinter dem „Nicht-Folgen“ können sich auch unerfüllte Bedürfnisse verbergen. Dein Kind sucht vielleicht nach Nähe, Anerkennung oder einfach nur nach einer Pause.
Bedürfnisorientierte Kommunikation: Der Schlüssel zum Verständnis
Die bedürfnisorientierte Kommunikation (GfK nach Marshall Rosenberg) kann uns helfen, die Situation aus der Perspektive unseres Kindes zu betrachten und eine Verbindung aufzubauen. Dabei geht es darum, die Gefühle und Bedürfnisse hinter dem Verhalten zu erkennen, sowohl bei uns selbst als auch bei unserem Kind.
Wie funktioniert das in der Praxis?
- Beobachtung: Beschreibe die Situation objektiv, ohne zu bewerten. Statt „Du räumst ja nie dein Zimmer auf!“ (Interpretation) könntest du sagen: „Ich sehe, dass deine Spielsachen noch auf dem Boden liegen.“ (Beobachtung)
- Gefühl: Drücke deine Gefühle aus. Statt „Du machst mich wahnsinnig!“ (Schuldzuweisung) könntest du sagen: „Ich fühle mich gestresst, wenn das Zimmer unaufgeräumt ist.“ (eigenes Gefühl)
- Bedürfnis: Benenne dein Bedürfnis. „Ich brauche Ordnung, um mich wohlzufühlen.“
- Bitte: Formuliere eine konkrete Bitte. „Könntest du bitte deine Spielsachen in die Kiste räumen?“ (Wichtig ist, dass es tatsächlich eine Bitte ist und kein versteckter Befehl.)
Konkrete Tipps für den Alltag:
- Atme erst einmal durch: Bevor du auf das vermeintliche Fehlverhalten deines Kindes reagierst, nimm zunächst einen tiefen Atemzug (oder auch gerne mehrere 😉)
- Positive Formulierungen: Sage deinem Kind, was es tun soll, anstatt was es nicht tun soll. Statt „Renn nicht!“ könntest du sagen: „Geh bitte langsam.“
- Klare und kurze Anweisungen: Vermeide lange Erklärungen und komplizierte Sätze. Je jünger das Kind, desto kürzer und prägnanter sollte die Anweisung sein.
- Wähle den richtigen Zeitpunkt: Sprich dein Kind an, wenn es dir zugewandt ist und nicht gerade tief in ein Spiel vertieft ist.
- Rituale und Routinen: Feste Abläufe geben Kindern Sicherheit und Orientierung. Wenn bestimmte Tätigkeiten, wie z. B. das Zähneputzen oder Aufräumen, immer zur gleichen Zeit stattfinden, werden sie leichter akzeptiert.
- Konsequenzen: Wenn dein Kind trotz klarer Anweisungen nicht folgt, können logische Konsequenzen helfen. Wichtig ist, dass die Konsequenz im Zusammenhang mit dem Verhalten steht und vorher angekündigt wurde. Beispiel: „Wenn du deine Jacke nicht anziehst, können wir leider nicht auf den Spielplatz gehen, weil Du Dich ohne Jacke verkühlen wirst.“
- Lob und Anerkennung: Vergiss nicht, dein Kind zu loben, wenn es deinen Anweisungen folgt. Positive Verstärkung ist viel effektiver als ständiges Schimpfen.
- Zeit für dich: Gerade wenn wir gestresst und überfordert sind, reagieren wir oft ungeduldig auf unsere Kinder. Plane regelmäßig Zeit für dich ein, um Kraft zu tanken.
- Vorbildfunktion: Kinder lernen durch Nachahmung. Achte darauf, wie du selbst mit Anweisungen und Regeln umgehst. Achte generell darauf, wie du dich verhältst, wie du redest, und ob dein Kind sich darauf verlassen kann, dass Du in den verschiedenen Situationen auch immer gleich reagierst. Deine Verlässlichkeit ist enorm wichtig für dein Kind, um sein eigenes Verhalten richtig einordnen zu können.
Du schaffst das!
Kinder aufwachsen zu lassen ist eine Herausforderung. Es gibt keine Patentlösung und jeder Tag bringt neue Herausforderungen mit sich. Aber du bist nicht allein! Wir alle erleben Höhen und Tiefen im Familienalltag. Sei geduldig mit dir und deinem Kind und feiere die kleinen Erfolge.
Brauchst du Unterstützung?
Wir vom Familiencampus wissen, wie herausfordernd der Familienalltag sein kann. Deshalb bieten wir dir verschiedene Möglichkeiten, dich zu begleiten und zu unterstützen. Auf unserer Website findest du Selbstlern-Onlinekurse, Onlinekurse mit Unterstützung durch Coaches und 1:1 Coachings für die ganze Familie oder nur für Eltern (live und/oder online). Unsere Angebote sind für jeden Geldbeutel geeignet – gemeinsam finden wir den Weg, der zu dir und deiner Familie passt. Wir freuen uns auf dich!
Zusätzliche Tipps für verschiedene Altersgruppen:
- Kleinkinder (1-3 Jahre): In diesem Alter ist es wichtig, klare und einfache Anweisungen zu geben und viel Geduld zu haben. Lenkung und Ablenkung sind oftmals hilfreicher als Verbote.
- Kindergartenkinder (3-6 Jahre): Spiele und Geschichten können helfen, Regeln und Anweisungen zu vermitteln. Beziehe dein Kind in Entscheidungen mit ein und gib ihm Wahlmöglichkeiten.
- Schulkinder (6-12 Jahre): In diesem Alter können Kinder Verantwortung übernehmen. Besprecht gemeinsam Regeln und Konsequenzen.
- Teenager (13-18 Jahre): Respektiere die wachsende Unabhängigkeit deines Teenagers. Kommuniziere auf Augenhöhe und versuche, seine Perspektive zu verstehen. Klare Grenzen und Regeln sind jedoch weiterhin wichtig.
Jedes Kind ist einzigartig. Was bei dem einen Kind funktioniert, muss nicht zwangsläufig beim anderen klappen. Bleib geduldig, probiere verschiedene Strategien aus und vertraue auf dein Gefühl. Du machst das schon!
Tieferer Einblick in die Verhaltensforschung:
Die Erkenntnisse der Verhaltensforschung untermauern die Bedeutung der bedürfnisorientierten Kommunikation. Studien zeigen, dass Kinder, deren Bedürfnisse wahrgenommen und respektiert werden, kooperativer sind und weniger Verhaltensprobleme zeigen. Die Bindungstheorie betont die Wichtigkeit einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind. Eine sichere Bindung entsteht durch feinfühlige Reaktionen der Eltern auf die Signale des Kindes. Wenn Kinder spüren, dass ihre Bedürfnisse ernst genommen werden, entwickeln sie Vertrauen und können sich besser regulieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Selbstbestimmungstheorie. Diese besagt, dass Menschen drei grundlegende psychologische Bedürfnisse haben: Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit. Wenn diese Bedürfnisse erfüllt sind, steigt die Motivation und das Wohlbefinden. Kinder, die Möglichkeiten haben, selbstbestimmt zu handeln, die ihre Fähigkeiten entfalten können und sich sozial angenommen fühlen, sind eher bereit, zu kooperieren.
Was tun, wenn gar nichts mehr geht?
Es gibt Tage, da scheinen alle Bemühungen vergeblich. Dein Kind folgt einfach nicht, egal was du tust. In solchen Momenten ist es wichtig, dass du dich selbst nicht verlierst. Hier sind einige Tipps, die dir helfen können, ruhig zu bleiben:
- Time-Out für dich: Geh kurz aus der Situation heraus, um dich zu beruhigen. Atme tief durch und sammle neue Kraft.
- Unterstützung suchen: Sprich mit deinem Partner, einer Freundin oder einem Familienmitglied über die Situation. Austausch tut gut und kann dir neue Perspektiven eröffnen.
- Professionelle Hilfe: Scheue dich nicht, dir professionelle Hilfe zu suchen, wenn du das Gefühl hast, nicht mehr weiter zu wissen. Ein Familiencoach oder ein Therapeut kann dich dabei unterstützen, die Ursachen für das Verhalten deines Kindes zu verstehen und geeignete Strategien zu entwickeln.
Woher kommt die Erwartung, Kinder müssen folgen?
Wir haben ja schon einiges darüber geschrieben, warum Kinder manchmal nicht folgen können oder wollen. Aber woher kommt eigentlich unsere Erwartungshaltung, dass Gehorsam selbstverständlich sein sollte? Diese Frage ist wichtig, denn sie lenkt den Blick auf uns selbst und unsere eigenen Prägungen.
Oftmals sind es tief verankerte Glaubenssätze, die wir aus unserer eigenen Kindheit mitgenommen haben. Sätze wie „Kinder brauchen klare Grenzen und Regeln, sonst tanzen sie einem auf der Nase herum.“ oder „Was sollen denn die Leute denken?“ prägen unser Bild von Erziehung und Gehorsam. Viele von uns haben verinnerlicht, dass Erwachsene das Sagen haben und Kinder folgen müssen.
Hinzu kommt der gesellschaftliche Druck. Auch von außen wird oft erwartet, dass Kinder „brav“ sind und den Anweisungen der Eltern folgen. Spielen sie nicht mit, werden schnell Sätze geworfen wie: „Der/die hat aber keine Manieren!“ oder „Du musst deinem Kind aber mal Grenzen setzen!“. Dieser Druck kann uns verunsichern und dazu führen, dass wir noch stärker auf Gehorsam pochen.
Ein weiterer Aspekt ist der Wunsch, es „besser zu machen“ als die eigenen Eltern. Viele von uns haben in ihrer Kindheit Erfahrungen gemacht, die sie ihren eigenen Kindern ersparen möchten. Das ist ein nur zu verständlicher und lobenswerter Ansatz. Manchmal kann es aber dazu führen, dass wir in ein extremes Verhalten verfallen und unsere eigenen Bedürfnisse und die unserer Kinder vernachlässigen.
Was haben meine Glaubenssätze mit dem Verhalten meines Kindes zu tun?
Unsere Glaubenssätze beeinflussen unser Verhalten und unsere Reaktionen auf die Umwelt und somit natürlich auch auf unser Kind. Wenn wir davon überzeugt sind, dass Kinder bedingungslos folgen müssen, reagieren wir oftmals mit Ungeduld, Ärger oder Strafe, wenn dies nicht der Fall ist. Diese Reaktionen können die Beziehung zum Kind belasten und zu einem Machtkampf führen.
Indem wir uns unserer eigenen Glaubenssätze bewusstwerden, können wir unser Verhalten reflektieren und verändern. Fragen, die wir uns stellen können, sind:
- Welche Erziehungsgrundsätze habe ich von meinen Eltern übernommen?
- Welche gesellschaftlichen Erwartungen beeinflussen mein Erziehungsverhalten?
- Was bedeutet Gehorsam für mich?
- Welche Bedürfnisse stecken hinter meinem Wunsch nach Gehorsam?
Wie kann ich meine Glaubenssätze verändern?
Die Auseinandersetzung mit den eigenen Glaubenssätzen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer bedürfnisorientierten Erziehung. Hier sind einige Tipps:
- Reflektiere deine eigenen Erfahrungen: Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit? Welche Erziehungsmethoden fanden an dir Anwendung? Wie haben diese auf dich gewirkt?
- Hinterfrage deine Glaubenssätze: Sind deine Glaubenssätze noch aktuell und hilfreich? Gibt es Alternativen?
- Lies Bücher und Artikel zum Thema Erziehung: Informiere dich über verschiedene Erziehungsansätze und finde heraus, welcher Ansatz am besten zu dir und deiner Familie passt und vor allem welcher für dein Kind am besten ist.
- Suche dir professionelle Unterstützung: Ein Familiencoach oder ein Therapeut kann dich dabei unterstützen, deine Glaubenssätze zu hinterfragen und neue Verhaltensweisen zu entwickeln.
Langfristige Strategien für ein harmonisches Familienleben:
Neben den konkreten Tipps für den Alltag gibt es auch langfristige Strategien, die zu einem harmonischen Familienleben beitragen können:
- Familienrituale: Gemeinsame Mahlzeiten, Spieleabende oder Vorlesezeiten stärken den Familienzusammenhalt und schaffen eine positive Atmosphäre.
- Qualitätszeit: Nimm dir regelmäßig Zeit für dein Kind, in der du dich ganz auf es konzentrierst und ihm deine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkst.
- Positive Kommunikation: Achte auf einen wertschätzenden Umgangston und vermeide Vorwürfe und Kritik.
- Konflikte konstruktiv lösen: Streit gehört zum Familienleben dazu. Wichtig ist, wie man mit Konflikten umgeht. Lernen Sie, Konflikte konstruktiv zu lösen und Kompromisse zu finden.
Erziehung ist ein Prozess. Es gibt kein richtig oder falsch. Wichtig ist, dass du deinen eigenen Weg findest, der zu dir und deiner Familie passt. Wir vom Familiencampus begleiten dich gerne auf diesem Weg.
Wir hoffen, dass dir dieser Blogbeitrag hilfreich war. Lass uns gerne über unser Kontaktformular wissen, welche Erfahrungen du gemacht hast und welche Tipps du für andere Eltern hast.